Ausschnitt einer Sendung des Deutschland-Funks:

"Sie werden lachen, die Bibel!
Lange Nacht zu den heiligen Schriften"

Gesendet am 19./20.12.2003
Joachim Kahl im Gespräch mit Andreas Malessa,
Hörfunk- und Fernsehredakteur des SWR

"Das Leid ist der Fels des Atheismus", hat Georg Büchner geschrieben. Das Leid, das Gott zuläßt und nicht ändert. Dieses Leid ist gemeint. Warum läßt Gott das Leiden zu? Allein die Frage ist schon Beweis für viele mit Religion und Theologie zu brechen. Wie ein Atheist die Bibel liest, das hören Sie jetzt.

J.K.: Man sollte die Bibel im Prinzip schon kennen, denn das Ärgerliche wird ja nicht dadurch weniger ärgerlich, daß man es einfach ignoriert und das heute um sich greifende religiöse Banausentum ist mir selbst ein Gräuel und die eigentlich anstößigen, antihumanistischen, kritikwürdigen Inhalte der Bibel im Grunde nicht bekannt sind.

A.M.: Dr. Hans Joachim Kahl aus Marburg ist evangelischer Theologe und war einmal praktizierender Christ. Doch das ist lange her. Seine Streitschrift vom "Elend des Christentums" wurde zum Kultbuch der 68er. Seine Wandlung zu einem atheistischen Philosophen machte ihn zur Identifikationsfigur für Religions- und Kirchenkritiker im alten Westdeutschland.

J.K.: Was mich stört, empört, ist der Personenkult, der zum Kernbestand des christlichen Glaubens im Neuen Testament gehört, ja unvermeidlich dort angelegt ist, keine Nebenerscheinung – ich zitiere Johannes 14 Vers 6: "Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater denn durch mich." Im Kern, das ist dieser wahnwitzige Erlöserglaube, daß ein einzelner Mensch – denn es soll ja doch trotz allem ein Mensch gewesen sein – für alle Menschen vor und nach ihm, und jene auch, die ihn nie kennen gelernt haben, der Weg, die Wahrheit und das Leben sei.

A.M.: Hans Joachim Kahl, stellvertretender Vorsitzender des Humanistischen Bundes in Deutschland, sieht sich selbst in der geistigen Tradition großer Skeptiker und Aufklärer wie Spinoza, Reimarus, David Friedrich Strauß, Franz Overbeck und des Marburger Theologen Rudolf Bultmann, bei dem er studierte. Naturwissenschaftliches Weltbild und messianischer Anspruch Jesu prallen für ihn unvereinbar aufeinander.

J.K.: Matthäus 28: "Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden." Angesichts der modernen Kosmologie entpuppt sich natürlich diese anmaßende Selbstpräsentation, ja, als die Aussage eines Liliputaners – denn was ist schon im Himmel alle Gewalt, wenn wir wissen, daß unser Sonnensystem nur Bestandteil einer Galaxie von Milliarden von Galaxien ist – da kommt nicht nur das Anmaßende, Hohle, sondern auch das – ja – Abgestandene, historisch Überholte zum Ausdruck.

A.M.: Mit dem Zusammenbruch von Planwirtschaft und Kommunismus sind für Hans Joachim Kahl der atheistische Materialismus und die Religionskritik der Aufklärung noch lange nicht erledigt. Weshalb er demnächst ein philosophisches Buch vorlegen möchte, das dann allerdings nicht missionarisch im Sinne des Markus-Evangeliums Kapitel 1 gemeint sein wird.

J.K.: Als atheistischer Philosoph will ich niemals Menschen fischen, nämlich gegen ihren Willen über sie ein Netz auswerfen und sie dann einsammeln gleichsam, sondern ich möchte sie mit offenem Visier argumentativ überzeugen, während just diese programmatische Aussage Jesu zu seinen Jüngern: "Ich will euch zu Menschenfischern machen" doch ein manipulatives Verständnis voraussetzt und suggeriert, ja, im Grunde sind wir entweder Fische, die gefischt werden müssen oder Schafe, die eines Hirten bedürfen.

A.M.: Gibt es denn gar nichts in der Bibel, was einen Gebildeten unter den Verächtern des Glaubens faszinieren könnte?

J.K.: Ich lese nicht die Bibel, sondern ich lese – wenn überhaupt – in der Bibel, das schon mal als Einschränkung vorweg gesagt; und da gibt es freilich auch für Atheisten interessante Texte, die einen Atheisten faszinieren können, und zwar nenne ich als erstes den Prediger Salomo. Und was mich in dieser Schrift fasziniert, ist die Kernbotschaft: Alles ist ganz eitel. Alles ist ein eitel Haschen nach Wind. Vanitas vanitatum.


Z u r ü c k